Wer arbeitet was für wen, wofür, wie viel und um welchen Preis?
Dieser Tage dreht sich wieder die Manipulations- und Abhängigkeitsspirale. Das Volk muckt auf und will Arbeitszeitverkürzung. Geht nicht, sagen die Entscheidungsträger:innen, denn wir brauchen eher mehr als weniger Arbeit und beim Weniger droht Wohlstandsverlust. Teilzeit ist böse, wenn es die/der Arbeitnehmer:in will und diesfalls soll Strafe folgen in Form erhöhter Sozialbeiträge. Das Ritual der Schuldzuweisung mit Sanktionsandrohung blüht. Geht´s der Wirtschaft schlecht, ein quasi andauernd herbeigeredeter Dauerzustand, haften alle außer den Entscheidungsträger:innen dafür, dass sie aus ihrem prognostizierten Konjunkturtief wieder emporgehievt wird. Eine Art Gewohnheitsrecht zugunsten der Entscheidungsträger:innen und zulasten der Leistungsträger:innen.
Bank und Kultur
Dieser Tage wird unsere Raiffeisenbank beim Versuch einer verschachtelten Transaktion zur Rettung ihrer Gewinne in Russland zurückgepfiffen und Raiffeisen reagiert aus Gründen der Vorsicht vor Regularien, wie es heißt. Anteilsverschiebung und Ausschüttung einer Sachdividende hätten zur Folge gehabt, dass ein russischer Oligarch eingefrorenes Vermögen in Europa zu flüssigen Rubel machen hätte können. Eingefroren? Halt, da war doch was. Sanktionen gegen Russland oder so? Komisch, dass die Raiffeisenbank trotzdem eine sanktionskonforme Lösung in dem Deal sah. Die USA und die EU sehen das anders. Darin kann Raiffeisen nicht mehr den nötigen „erforderlichen Komfort“ der Behörden erkennen und beschließt aus Gründen der Vorsicht von der Transaktion Abstand zu nehmen. Immerhin will sie Vorsicht gegenüber einem Land walten lassen, das einen brutalen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat und von weiten Teilen der internationalen Gemeinschaft boykottiert und wirtschaftlich sanktioniert wird. Wären da nicht die Regularien, die Raiffeisen jetzt im Weg stehen, mein Gott, was soll´s. Währenddessen wird ein geplantes Konzert nach dem anderen mit der Sängerin Anna Netrebko abgesagt, weil sie sich zwar eindeutig gegen den Krieg Russlands ausgesprochen hat, nicht aber gegen den Kreml samt Präsidenten in ihrem Heimatland. So hoch kann die Pseudomoral-Latte für eine Künstlerin liegen, noch dazu eine Frau, während die Latte für Raiffeisen unter dem moralisierenden Boden liegt, wenn sie seit Kriegsausbruch ungestört weiter ihre Milliarden scheffelt und schnell in heimatliche Gefilde retten will.
Wir sehen: Für politisch wohlvernetzte Konzerne gelten eigene Gesetze, eine eigene Sprache, eine eigene Form der Rechtsdurchsetzung, der wirtschaftliche Machtanspruch und absoluter Vorrang auf dem rutschigen, politischen Parkett. Für Angestellte und Selbständige gelten medial manipulativ verordnete Regularien ohne Wenn und Aber bei deren Missachtung ein gesellschaftlich-beruflicher Quasi-Vernichtungskrieg mit Exekution droht.
In der Not geht es nicht ohne Sozialpartnerschaft
Diese Beschreibung von Gegensätzlichkeiten mögen übertrieben klingen, klar, dass nicht alle Unternehmen und Beschäftigte für und mit Russland arbeiten, sie spiegeln aber Grundhaltungen, die im Arbeits- bzw. Erwerbsleben manifest werden. Einerseits erlebte Österreich in der Covid-Krise eine Renaissance der Sozialpartnerschaft, als es in der Not auf die Einigkeit hinsichtlich Kurzarbeit, Homeoffice und Schutzmaßnahmen ankam. Selbst die Gehaltsabschlüsse bewegten sich ohne Aufhebens im fairen Bereich. Andererseits brach danach alles wieder los, was wir aus der Zeit vor der Krise kannten: Misstrauen, Missgunst, Schuldzuweisung, Machtdemonstration, Versteckspiel und vieles mehr. Weil´s grad erst war: Lange keine Einigung bei der AUA. Als die transparente Information über die Gewährung von Corona-Hilfen griff und sich herausstellte, dass die AUA betragsmäßig im Spitzenfeld liegt, war der Bann gebrochen und die Belegschaft erhielt ihr am unteren Durchschnitt angesiedeltes Gehaltsplus. In der Argumentation beeindruckend auch die negative Umkehrung der Benyaformel, indem die angeblich schlechten Konjunkturaussichten, die wiederum den angeblich hohen Löhnen und den schrecklichen Lohnnebenkosten angelastet werden, Gehaltsabschlüsse unter der rollierenden Inflation rechtfertigen würden. Zahlreiche Beispiele ließen sich anführen.
Arbeit neu denken
Die Kernfrage ist jedoch: Wo liegen die Grenzen des Dialogs und wer entscheidet, was wer darf? Wer immer aus dem Toleranzbereich ausschert, riskiert Arbeitskämpfe, die eskalieren könnten. Das aber wäre in der Post-Covid Periode intolerabel, weil die Unternehmer:innen staatlich großzügig unterstützt wurden. Österreich zählt hier zu den Spitzenreitern Europas. Gleichzeitig köchelt – warum eigentlich gerade jetzt? – eine Kontroverse auf, die sich sachliche Analyse und Diskussion verdient hätte, nämlich jene der grundsätzlichen Lohngerechtigkeit, Arbeitszeit und Arbeitsplatzwertigkeit, oder -attraktivität, wie es jetzt bezeichnet wird, um ja nicht in die Nähe von Wertschätzung zu geraten. Diese Diskussionen sollten mit Sachverstand, offen und korrekt geführt werden und keinem parteipolitischen Kalkül unterliegen. Wer die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als klammheimlichen Wunsch zur Aufbesserung der Work-Life-Balance zugunsten der Arbeitnehmer:innen missinterpretiert, wird nicht weiterkommen. Die Frage ist nämlich nicht, ob wir mit einer Normalarbeitszeit von weniger als 40 Wochenstunden unseren Wohlstand erhalten können, oder nicht doch eher eine Stunde auf die 40 drauflegen sollten, sondern eine der Evaluierung des Verhältnisses von Lohn und Arbeit. Bedenken wir alleine die Frage der Sinnhaftigkeit der Verschwendung natürlicher Ressourcen bei sachlich und logistisch nicht gerechtfertigten Fahrten zum und vom Arbeitsplatz. Der Lohn dient der sozialen Absicherung und dem Bewertungsmaß für die geleistete Arbeit. Wodurch, wie lange und wofür gearbeitet werden soll bzw. muss, ist die viel schwieriger zu lösende Frage. Die Arbeitszeit gibt inzwischen zu wenig her, um als hauptsächlicher Parameter dienen zu können, denn es kommt immer mehr darauf an, was und wie viel man in der Zeiteinheit leistet. Das wusste man sicherlich auch schon vor der Erfindung des Fließbands, doch das „Was“ gewinnt immer mehr an Bedeutung als sie dem „Wie viel“ zukommt. Wenn wir uns zumindest darauf einigen könnten, dass Arbeit in einer noch immer rasant zunehmenden Technologisierung vorrangig auf geistige Arbeit mit Blick auf Erkenntnis zugehen wird müssen, ein Grund übrigens, das Bildungssystem nachhaltig zu reformieren! Das gilt für ihren inhaltlichen Wert und ihre lohnmäßige Bewertung, kurzum gilt es Arbeit neu zu denken.
Demokratie, warum? Deshalb:
Die praktischen Implikationen sind, dass wir Arbeitsplätze und -stätten (inklusive Homeoffice) schaffen müssen, an denen es sich denken, vertraulich sprechen und offen diskutieren lassen muss, also keine Großraumbüros zum Beispiel. Die sozialen Implikationen sind, dass wir abgesehen von Arbeitslosen- und Pensionsvorsorge eine Fürsorge für Gesundheit erhalten und erweitern müssen, ein Argument, welches den replizierend ausufernden Krieg gegen die Lohnnebenkosten ziemlich dämlich aussehen lässt. Die gesellschaftlichen Implikationen sind, dass wir gemeinsam miteinander gehen können und egal, ob im öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft Wertschätzung pflegen und einmahnen dürfen und sollen, ohne Neid vergleichbar sein dürfen und sozialpartnerschaftliche Forderungen bündeln sollten. Dabei sollten wir ständig darauf Bedacht nehmen, dass die Regeln, die wir uns geben, eingehalten werden. Zumindest grob betrachtet, scheinen die in den ÖGB-Statuten und den diversen Geschäftsordnungen der Teilgewerkschaften verankerten demokratischen Grundsätze in der Umsetzung besser zu bilanzieren als die Rechtsgrundlagen in der staatlichen Verwaltung. Woran das wohl liegen mag? Vertretungsorgane der Arbeitnehmer:innen wissen aus Erfahrung, dass sie Ziele für ihre Klientel in Solidarität erreichen können, ihre Bilanz ist offen einsehbar. Politische Parteien hingegen wissen aus Erfahrung, dass sie im Wege der demokratischen Willensbildung in Täuschungsabsicht die Wähler:innen zur Stimmabgabe verführen können, mit der die Demontage demokratischer Einrichtungen eingeleitet werden mögen, deren Bilanz nach Ende der jeweiligen Legislaturperiode von nachfolgenden Generationen bezahlt werden muss. Übertreibung? Beim Sturm auf das Kapitol 2021 in Washington – zweifelsfrei ein gezielter Anschlag auf demokratische Einrichtungen – gab es Tote. Aber bleiben wir in unserer Heimat: „Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat.“ (§ 1 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, 1934). Will das wirklich jemand 90 Jahre später in Österreich vertonen? Um das zu verhindern, müssen wir ein solches Ansinnen bei allen Wahlen entschieden abwählen!
Unterstützen wir bitte politische Kräfte zur Entwicklung zeitgemäßer Modelle eines wertschätzenden Miteinanders in der Arbeitswelt auf Basis von Fachexpertise in einem demokratischen Umfeld!
Stefan Schön
Pressesprecher der UGÖD
Unabhängige Gewerkschafter:innen im Öffentlichen Dienst und ausgegliederten Betrieben