Europäische Gewerkschaften über Arbeitszeitpolitik in Österreich besorgt
Auf der europäischen Arbeitszeitkonferenz in Wien verfassten die europäischen Dienstleistungs-Gewerkschaften eine gemeinsame Protestnote an Bundeskanzler Sebastian Kurz in seiner Funktion als Repräsentant des österreichischen EU-Ratsvorsitzes.
Offene Protestnote an den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz: Arbeitszeitpolitik muss in die Zukunft schauen, nicht in die Vergangenheit!
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Sebastian Kurz!
Wir adressieren Sie als Repräsentanten des österreichischen EU-Ratsvorsitzes, um unsere Sorge über die aktuellen Entwicklungen in Österreich zum Ausdruck zu bringen. Als austragendes Land des EU-Ratsvorsitzes haben Sie die Gelegenheit, mit gutem Beispiel voran zu gehen und Akzente zur Weiterentwicklung der Europäischen Union zu setzen.
Österreich war über Jahrzehnte ein wichtiger Träger sozialen Fortschritts, breiter Absicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie einer überbetrieblichen Sozialpartnerschaft. Umso bestürzter sind wir nun zu sehen, dass Ihre Regierung mit diesen Werten bricht.
Wir – Präsidenten und Präsidentinnen von Gewerkschaften aus ganz Europa – haben uns auf Einladung des Verbandes europäischer Dienstleistungsgewerkschaften UNI Europa und der GPA-djp hier in Wien eingefunden, um über Arbeitszeitmodelle der Zukunft zu diskutieren. Unsere Erfahrungen in unseren Ländern zeigen: Flexibilisierung von Arbeitszeit funktioniert nur, wenn Belegschaftsvertretungen und Gewerkschaften eingebunden sind und sie mit einer Reduktion des Arbeitsvolumens sowie einer Verkürzung von Arbeitszeit einhergeht.
Mit der Einführung des 12-Stunden-Tages und der 60-Stunden-Woche haben Sie einen extremen Bruch mit dem Prinzip der Sozialpartnerschaft begangen. Es ist der österreichischen demokratischen Tradition nicht würdig, ein Gesetz mit dieser Tragweite ohne Begutachtung und Einbeziehung der Sozialpartner durchzupeitschen und das Inkrafttreten sogar noch um vier Monate nach vorne zu verschieben. Sie verschlechtern damit die Lebensqualität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich massiv und stellen Familien und Alleinerziehende vor unlösbare Probleme.
Sie stellen sich damit zudem gegen europäische Bemühungen, Beschäftigte zu entlasten und Arbeitszeit zu verkürzen. Insbesondere vom Bundeskanzler jenes Landes, das gerade den EU-Ratsvorsitz innehat, erwarten wir fortschrittliche Politik, nicht Rezepte aus dem 19. Jahrhundert. Diese Gesetzesinitiativen haben allein den Profit der Konzerne im Blick und nicht das Wohlergehen der Menschen.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben Verantwortung gegenüber den Österreicherinnen und Österreichern – aber Sie haben auch Verantwortung gegenüber Europa. Sie sind ein Anhänger der Doktrin, die EU müsse „weniger, aber effizienter“ handeln, und sprechen sich für ein kleines EU-Budget aus. Damit schränken Sie aber den Handlungsspielraum der EU aktiv ein und erteilen der sozialpolitischen Agenda eine Absage. Ihre aktuelle Politik gefährdet den sozialen Zusammenhalt innerhalb der EU und stellt sich ganz klar gegen sozialen Fortschritt.
Hiermit möchten wir unseren Protest dagegen zum Ausdruck bringen. Wir stehen voller Überzeugung hinter den österreichischen Gewerkschaften und werden sie in ihren Protestmaßnahmen unterstützen. Als europäische Gewerkschaftsbewegung werden wir die Entwicklungen in Österreich beobachten und den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zur Seite stehen.
Hochachtungsvoll,
Frank Bsirske
Vorsitzender UNI Europa
Oliver Röthig
Generalsekretär UNI Europa