Werden Fachleute das Ruder zur Vernunft herumreißen können? Der Tadel des Bundespräsidenten und seine Folgen.

Drei Parteien finden zum Verhandlungstisch zurück, lassen den Volkskanzler rechts am Pannenstreifen liegen und treffen vereinzelt völlig überraschende Personalentscheidungen. Ja, tatsächlich finden sich in der Regierung auch Personen, von denen man nicht viel mehr weiß, als dass sie Fachleute seien. Dazu fällt Freund, Feind und vielen Medien nichts ein. Man muss darauf warten, was sie tun.
Nutzen wir die Atempause, um ein wenig nachzudenken, wie es den Menschen geht, welche die Hauptlast der Pandemie getragen haben, die unverschämten Kosten der Energiewirtschaft tragen mussten, von allen Seiten „gekürzt“ wurden, die Inflation abarbeiten mussten, Diskriminierung statt Anerkennung erhielten, krank (gemacht) wurden und auf Unterstützung warten. Aber nein, ganz im Gegenteil, es ist genau umgekehrt, wurde uns suggeriert: Ausgabenseitig muss eingespart werden, nix Einnahmen des Staates, „ausgabenseitig, ausgabenseitig“, so ging das wochenlang im Stil „völkischer“ Propaganda, nachdem sich der frühere Finanzminister bei seiner Budgetprognose vor der Wahl für die Zeit nach der Wahl bis über die Grenzen eines EU-Defizitverfahrens so richtig verrechnet hatte. Schon schlimm, oder? Deshalb hat man uns eingebläut: „Ausgabenseitig, ausgabenseitig“. Obwohl andererseits: „Milliarden an Corona-Hilfen und Energiekostenzuschüssen gingen vor allem an Konzerne. Dazu strich die Regierung Sozialbeiträge („Lohnnebenkosten“) und senkte die Gewinnsteuer auf nur mehr 23 Prozent. Hauptprofiteure sind die größten Unternehmen und ihre Besitzer. Diese Geschenke haben das Budget belastet. Die Rechnung dafür sollen nun alle anderen bezahlen“, schreibt Barbara Blaha vom Momentum Institut. Denken hilft! Oliver Picek vom selben Institut schreibt: „Die kommende Regierung täte gut daran, zur Budgetsanierung keinen österreichischen Sonderweg zu gehen. Eine rein ausgabenseitige Budgetsanierung können wir uns mit der konjunkturellen Lage derzeit nicht leisten. Ausgabenkürzungen bremsen die Wirtschaft noch stärker ein als Steuererhöhungen. Dann droht das dritte Rezessionsjahr in Folge“. Schlägt nun also die Stunde der Fachleute und beendet die leidige Phase blöder Schmähs und kriegerischer Parolen? Wurde der Lehrsatz des Bundespräsidenten begriffen, dass Kompromisse nicht etwas für Verlierer seien, sondern Lösungen evozieren?
Kurze Zeit später preschte der neue Finanzminister Marterbauer mit einem Gesetzesvorschlag für einen „Energiewirtschaftstransformationsbeitrag“ voran, widerlegte das Dogma von der ausschließlichen „Ausgabenseitigkeit“ und zeigte sich anschließend im Detail flexibel. Nein, man müsse das nicht unbedingt so machen, sondern es geht auch anders und präsentierte eine überarbeitete Variante jener Gewinnabschöpfung, die schon von der türkis-grünen Regierung seinerzeit eingeführt wurde und nun verschärft werden soll. Bewegung auf sachlicher, fachkompetenter Ebene also? Geben wir der Hoffnung Ausdruck, dass Markus Marterbauer auch sein Wissen um die lösungsorientierte Bedeutung der Sozialpartnerschaft in sein neues Amt einfließen lassen wird und geben wir ihm heute das letzte Wort mit einem seiner letzten Artikel für die Arbeiterkammer vom 30.12.2024, zu einem Zeitpunkt, als er nicht damit rechnen konnte, dass er Finanzminister werden würde:
„Der Versuch, Interessengegensätze klar zu benennen, aber gleichzeitig nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, von denen in mittlerer Frist alle profitieren, machte den Erfolg der Sozialpartnerschaft in den fünf Nachkriegsjahrzehnten aus. Heute ist davon nur noch wenig übrig. Dieses Prinzip angesichts der Herausforderungen der Zeit neu zu erfinden und zeitgemäß auszugestalten, wäre die vornehmste Aufgabe erfolgreicher Politik. Gelingt ihr das, dann ist damit auch ein Schritt zur Rettung der Demokratie gemacht, die heute von allen Seiten so stark unter Druck ist wie lange nicht.“
Gut so!
Stefan Schön, Pressesprecher