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Lohnnebenkosten finanzieren Leistungen des Sozialstaates

Wer Lohnnebenkosten kürzt, streicht Sozialleistungen

Eine winzige Babyhand liegt in der Hand eines Erwachsenen

Arbeitgeber:innen zahlen Gehälter – von diesen zahlen sie als gerechten Beitrag zum Sozialstaat:

  • in die Mitarbeiter:innen-Vorsorgekassa
  • in den Familienlastenausgleichs-Fonds FLAF
  • die Kommunalsteuer und in Wien die U-Bahnsteuer
    + KESt auf Kapitalerträge etc.
    + KÖSt

Arbeitnehmer:innen bekommen ein Gehalt – von diesem Bruttogehalt zahlen sie:

  • Lohnsteuer
  • einen Anteil an Sozialversicherungsbeiträgen,
  • einen Beitrag zum gemeinsamen Staatshaushalt
  • und zur gemeinsamen Krankenversicherung
    + Arbeiterkammerumlage (mit Ausnahme der kraft Gesetzes davon befreiten Arbeitnehmer:innen)
    + KESt auf Spareinlagen etc.

Mit dem verbleibenden Nettogehalt bestreiten Arbeitnehmer:innen ihren Lebensunterhalt und zahlen als vielfache Konsument:innen davon auch noch weitere Steuern.

 

Von 1 Euro Lohnnebenkosten fließen...
43 Cent    in Pensionsversicherung    
13 Cent in Krankenversicherung
13 Cent    in Familienleistungen
10 Cent      in Gemeindeleistungen  
10 Cent in Arbeitslosenversicherung   
  5 Cent   in Abfertigung (Mitarbeitervorsorgekassa-MVK)  
  4 Cent         in Unfallversicherung  
  2 Cent in Wohnbauförderungs-Beitrag     
0,3 Cent in Insolvenz-Entgelt-Fonds

70 Prozent der Lohnnebenkosten fließen in unsere Versicherungen gegen Krankheit oder wünschenswerterweise für Gesundheit, Alter und Arbeitslosigkeit – mit den restlichen 30 Prozent finanzieren wir den Sozialstaat.

 

 

Familienpolitik seit 1955

 

Der Familienlastenausgleichsfonds-FLAF wurde 1955 bewusst als Verwaltungsfonds gegründet. Die Idee war, Eltern und ihre Kinder abzusichern – und zwar im doppelten Sinne:

 

  • Die Familien finanziell absichern und
  • den Fonds selbst absichern vor einem Zugriff von künftigen Regierungen in Budgetnöten, für die so ein Fonds natürlich eine verlockende Geldquelle wäre.

Der Familienlastenausgleichsfonds-FLAF kam nur zustande, weil in dem Jahr, in dem er eingerichtet wurde, alle Arbeitnehmer:innen auf eine generelle Lohnerhöhung verzichtet haben. Nur unter dieser Bedingung haben die Arbeitgeber:innen ihren Beitrag zum FLAF zugesagt. Der Lohnverzicht von damals wirkt für Arbeitnehmer:innen seither jedes Jahr weiter, weil dieses verlorene Jahr nie wieder ausgeglichen wurde – auf ein ganzes Berufsleben durchgerechnet, kommt so hübsch was zusammen. Den Arbeitnehmer:innen waren also im Jahr 1955 nachkommende Generationen viel wert!

 

Die Arbeitgeber:innen haben jedoch ihre Zusage von 1955 nicht eingehalten: sie konnten seither durchsetzen, dass ihr Beitrag zum FLAF bereits mehrmals gesenkt wurde – von ursprünglich 6 Prozent auf heute 3,7 Prozent. Ab 2025 sollen es dann nur mehr 3 Prozent sein. Diese geplante Senkung um weitere 0,7 Prozentpunkte bedeutet konkret, dass im FLAF 1,1 Milliarden Euro fehlen werden. Aus dem FLAF werden Familienbeihilfe, das Karenzgeld und die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen bezahlt.

 

Wer übernimmt diesen finanziellen Ausfall für Familien im Sozialstaat und wer schaut in Zukunft drauf, dass die Kinderarmut in Österreich nicht weiter zunimmt? Kosten für Kinder werden überwiegend von deren Eltern getragen und stellen eine große Herausforderung dar. Derzeit erhalten die einkommensstärksten zwei Zehntel Österreichs die höchsten Familienleistungen, diese Form der ungerechten Umverteilung gibt es nirgendwo sonst in der EU.

 

 

Neoliberaler Raubbau an den Lohnnebenkosten

 

Wieviel sich Arbeitgeber:innen in den letzten 10 Jahren an Lohnnebenkosten bereits senken haben lassen, weil ihre Lobby nicht nur wegen ihrer Finanzstärke mehr Macht auf Medien und Politik ausüben kann, als Durchschnittsbürger:innen:

 

Jahr Beitragsart Alt Neu allgem. Verlust
pro Jahr
2014 Unfallversicherung 1,40% 1,30% 95 Mio €
2015 Insolvenz-Entgeltsicherung 0,55% 0,45% 85 Mio €
2016 Insolvenz-Entgeltsicherung 0,45% 0,35% 90 Mio €
2016/17 FLAF 4,50% 4,10% 500 Mio €
2018 FLAF 4,10% 3,90% 500 Mio €
2019 Unfallversicherung 1,30% 1,20% 100 Mio €
2020 Insolvenz-Entgeltsicherung 0,35% 0,20% 170 Mio €
2022 Insolvenz-Entgeltsicherung 0,20% 0,10% 128 Mio €
2023 FLAF 3,90% 3,70% 350 Mio €
2023 Unfallversicherung 1,20% 1,10% 125 Mio €
2024 Arbeitslosenversicherung 3,00% 2,95% 70 Mio €
  Verlust pro Jahr ab 2024     2,04 Milliarden €

 

Weil wir länger leben, brauchen wir auch mehr Geld für Gesundheitsvorsorge und Pensionen. Seit sich die Arbeitgeber:innen mehr Gewicht in den Krankenkassen=Gesundheitskassen, die mit Beiträgen von Arbeitnehmer:innen gefüllt werden, verschafft haben, hat es statt dem Gewinn einer „Patientenmilliarde“ nur mehr Berichte über steigende Kosten und fehlende Milliarden gegeben. Wenn also weiterhin neoliberaler Raubbau an den Lohnnebenkosten betrieben wird, kann sich alles an Sozialleistungen in Österreich zusammengenommen nicht mehr ausgehen. Wer heute Lohnnebenkosten einsparen will, wird uns früher oder später vermutlich damit konfrontieren, dass noch viel mehr Leistungen als bisher drastisch gekürzt werden müssen. Denn Konzepte für eine ausreichende Gegenfinanzierung dieser empfindlichen Kürzungen liegen bislang nicht vor.

 

Die Arbeitgeber:innen zahlen in den Bundesländern Kommunalsteuer und in Wien U-Bahnsteuer. Die Kommunalsteuer ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der Gemeinden in Österreich. Sie brauchen dieses Geld für die kommunale Daseinsvorsorge, für Abwasserentsorgung, Straßenreinigung und Straßenbeleuchtung. Allein ein Fünftel ihrer Budgets geben die Gemeinden für die Erhaltung von Schulgebäuden und Kindergärten sowie das dort beschäftigte Personal aus. Hin und wieder gehen sich Investitionen in Sport-, Kultur- oder Bildungsveranstaltungen aus. Der Ausbau des Wiener U-Bahnnetzes wird die Lebensqualität der derzeit lebenswertesten Stadt der Welt weiter erhöhen.

 

 

Was es mit der Körperschaftsteuer wirklich auf sich hat

 

Manche Arbeitgeber:innen zahlen Körperschaftsteuer (KöSt), wobei nur 5 Prozent aller Körperschaften 80 Prozent der gesamten Körperschaftsteuer zahlen. Eine Senkung der KöSt kommt in Österreich aktiven Konzernen und den größten Betrieben des Landes zugute. 2023 wurden 14,3 Milliarden aus der KöSt eingenommen, 2019 waren es 9,9 Milliarden laut Statistik Austria. Die türkis-blaue Regierung hat die KöSt bereits von 25 auf 23 Prozent gesenkt. Ein geringer Teil der KöSt fließt in den Katastrophenfonds, der 1996 per Gesetz beschlossen wurde. In diesem Katastrophenfonds betrug die Rücklage am Ende der Jahre 2022 und 2023 jeweils den maximal zulässigen Wert von 30 Millionen Euro. 2023 wurden in den Katastrophenfonds insgesamt 624,3 Millionen Euro eingezahlt und 438,9 Millionen ausgezahlt, die Differenz von 185,3 Millionen Euro wurde an den allgemeinen Bundeshaushalt abgeführt. Die Auszahlungen wurden 2023 zu 69,5 Prozent für Vorbeugungsmaßnahmen, zu 13,7 Prozent für die Beseitigung von Schäden und zu 17,1 Prozent für die Finanzierung von Einsatzgeräten der Feuerwehren getätigt.

 

Es schaut also insgesamt und kritisch betrachtet eigentlich so aus, dass aus Sicht der Arbeitgeber:innen erst dann genug arbeitgeberseitige Lohnnebenkosten gesenkt sein werden, wenn der Sozialstaat sie gar nichts mehr kostet! Manche Unternehmensvertreter:innen finden vielleicht, dass alles, was nichts oder wenig kostet, sowieso nichts wert ist, andere schlagen hingegen vor, Sozialleistungen aus dem allgemeinen Budget zu bestreiten. Das allgemeine Budget setzt sich zu 80 Prozent aus den regelmäßig erbrachten Steuerleistungen der Arbeitnehmer:innen zusammen. Die Lobby für Arbeitnehmer:innen sind Gewerkschaft und Arbeiterkammer – und diese finden mit ihren durchaus relevanten Äußerungen in der Medienlandschaft Österreichs weit weniger Interesse als Politiker:innen und Wirtschaftstreibende.

 

 

Verwaltungsreform?

 

Immer wieder hören wir in diesem Zusammenhang aus Wirtschafts- und Medienkreisen: eine Verwaltungsreform kann uns dieses Geld zurückbringen, das sich Arbeitgeber:innen auf Kosten aller am Staatswesen Beteiligten ersparen wollen. Wenn Industriellenvereinigung (IV), Wirtschaftskammer (WKO) und andere Unternehmensvertreter:innen solche Neiddebatten anfachen, bekommt am Ende der Öffentliche Dienst, der dann immer noch „schlanker“ werden soll, den schwarzen Peter zugeschoben. Dass der öffentliche Dienst in Österreich schon lange einer der „schlanksten“ in der EU ist, wird kaum je thematisiert.

 

Der öffentliche Dienst sorgt für eine qualitätsvolle und einigermaßen haltbare Infrastruktur, das greifen Medien eher nur dann auf, wenn ein Schadens-, Unglücks- oder Katastrophenfall auftritt – nach dem Motto „only bad news are good news“. Manchmal werden Vergleiche gezogen zu anderen neoliberal regierten europäischen Ländern wie Deutschland oder Großbritannien, deren Infrastruktureinrichtungen durch neoliberales Wirtschaften zerstört wurden.

 

Dass die meiste systemrelevante Arbeit im öffentlichen Dienst und in ausgegliederten Betrieben, die ja auch über öffentliche Mittel erhalten werden, erbracht wird, dass Gesundheit und Pflege, Bildung und Kultur, Wissenschaft und Forschung unverzichtbare Aufgaben im allgemeinen Interesse sind, lässt sich kaum marktschreierisch oder mediengerecht verwerten. Systemrelevante und unbezahlte Arbeit wurden auch im aktuellen Wahlkampf in keinem der Parteiprogramme aufgegriffen – d.h. keine der Parteien, die in Zukunft unser Land gestalten wollen, hat dazu eine Position. 60 Prozent der unbezahlten Arbeit in Österreich wird von Frauen verrichtet, eine jährliche Zeitverwendungserhebung wäre ein Instrument, das die unbezahlte Care-Arbeit sichtbar macht. Kann sich Geschlechtergerechtigkeit erfolgreich einstellen, wenn keine der wahlkämpfenden Parteien dieses Ziel als solches bekanntgibt?

 

 

Die Arbeiterkammerumlage abzuschaffen ist weder eine Sache von Politiker:innen noch von Unternehmer:innen!

 

Bis jetzt hat sich noch keine Arbeitnehmer:innengruppe dafür eingesetzt, obwohl nur Arbeitnehmer:innen sich zuständigerweise dafür stark machen könnten. Jede politische oder unternehmensseitige Einmischung in die Arbeiterkammerumlage ist eine Anmaßung! – und die Frage, wem eine Abschaffung der Arbeiterkammerumlage Nutzen bringt, lässt sich mit den Aktivitäten der Arbeiterkammern beantworten.

 

Die Arbeiterkammern erstreiten jedes Jahr viel Geld für Arbeitnehmer:innen, denen im beruflichen Zusammenhang ein Schaden oder Unrecht zustößt. Welcher Arbeitnehmer oder welche Arbeitnehmerin kann oder will sich denn ohne weiteres ein Verfahren gegen Arbeitgeber:innen, die Unrecht begehen, leisten? Dort, wo im Arbeitsumfeld Unrecht geschieht, ist eine starke Vertretungsorganisation gefragt, die nicht nur die relevanten Informationen zum Arbeitsrecht beschafft und veröffentlicht, sondern sich auch im Sinne von Konsument:innen einsetzt.

 

 

Einrichtungen der Sozialpartnerschaft schützen

 

Der sozial-ökologische Umbau unserer Lebens- und Wirtschaftswelt angesichts von Klimakatastrophen durch menschengemachte Erderwärmung wird eine Kraftanstrengung in teilweise noch unvorstellbaren Ausmaßen von uns allen fordern. In einem global gesellschaftlichen Ausmaß gedacht wird dafür viel solidarische Energie benötigt werden. Daher kommen Angriffe von Wirtschaft und Industrie auf Gewerkschaft und Arbeiterkammer einem Angriff auf die Sozialpartnerschaft gleich, um die uns viele andere Regierungen weltweit beneiden. Politiker:innen müssen diese maßgebliche Einrichtung zur Ermöglichung eines guten Lebens für alle in der Republik Österreich lebenden Menschen schützen und dürfen auf keinen Fall an ihrer Abschaffung mitwirken!

 

 

Beate Neunteufel-Zechner

UG-Referatsleitung Klima und Strukturwandel

26.09.2024

 

 

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