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UGÖD-Café: Arbeit neu denken. Eine Herausforderung!

Nachlese zum UGÖD-Café am 20.02.2023

UGÖD-Café

20. Februar 2022

Nachlese zum UGÖD-Café:

„Arbeit neu denken. Eine Herausforderung!”

mit Vera Koller


Eine Frau in Arbeitskleidung blickt zuversichtlich in die Ferne

Die Herangehensweise an dieses große Thema ist zurzeit flankierend geprägt von einer umfangreichen medialen Diskussion zur Frage der Arbeitszeitverkürzung und Überlegungen zur Einschränkung von Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte. Vera Koller stellte im Problemaufriss den derzeitigen Stand der Ergebnisse einer Arbeitsgruppe dar, die sich bei der letzten UG-Konferenz 2022 gebildet hatte. Vor dem Hintergrund, dass heranwachsende Generationen „die Arbeit“ nicht mehr als Lebensmittelpunkt betrachten, muss die Leistung für und die Abgeltung von Erwerbsarbeit neu bewertet werden. Es muss herausgearbeitet werden, welche Bereiche in Arbeit und Freizeit jeweils überhaupt und in welchem Ausmaß bezahlt werden. Abgrenzungsprobleme entstehen beispielsweise angesichts der Tatsache, dass (unbezahlte) Care-Arbeit bei einer Neubewertung von Arbeit mit einkalkuliert werden muss, wenn die Forderung nach einer bestimmten maximalen Arbeitszeit bestimmt werden will. Ebenso sollte die Forderung nach Möglichkeit einer selbstbestimmten Arbeitszeit im Lichte dessen, dass Betreuungspflichten für Kinder und Angehörige nicht freiwillig entstehen, als Resultat aus dem Postulat des Primats der Menschlichkeit in der Arbeitswelt betrachtet und darüber verhandelt werden. Der Forderungskatalog nach Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ist inzwischen so umfangreich und komplex, dass das System Arbeit „aufgebrochen“ und neu aufgestellt werden muss. Als Beispiele seien genannt: Rechtsanspruch auf kürzere Arbeitszeit/Teilzeit. Freie Zeiteinteilung insbesondere bei mehr als einem Arbeitsvertrag. Aufstockung des Arbeitsumfangs, wenn das sozio-ökonomische Umfeld stimmt. Manches davon mag in der realen Arbeitswelt da und dort im Einvernehmen realisiert worden sein, von Rechtsansprüchen sind wir jedoch noch sehr weit entfernt. Dabei handelt es sich keineswegs um eine gewerkschaftlich überzogene Forderung, sondern um den Gedanken einer Förderung von lebensphansenorientiertem Arbeiten: So haben Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung keine Wahl, sie brauchen Teilzeit wegen der besonderen Belastungen. Die entsprechende Ausstattung mit Rechtsansprüchen brächte einen gesellschaftlichen Mehrwert, weil der Druck in der Ausgangsposition wegfallen würde.

 

Utopisch statt normal

 

Es ist wichtig, Utopien zu entwickeln, um Forderungen formulieren zu können. Die ideologiebefreite grundsätzliche Fragestellung muss lauten: Was bedeutet „gute Arbeit“ als Ziel guter Interessensvertretung der Unabhängigen Gewerkschafter:innen? Vorstellbar wäre etwa, dass ehrenamtliche Arbeit bezahlt wird - pensionierte pflegende Menschen sollen honoriert werden - das hat der OGH so festgestellt und wurde vom Gesetzgeber ausgehebelt!

 

Altersteilzeit (ATZ) könnte besser gestaltet werden und muss nicht nur bis zur Altersgrenze von 65 Jahren gehen! 40:60 muss nicht das Regelmaß sein. Vorteilhafter Nebeneffekt: Pensionierte Angestellte würden weiterhin 3% in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.

 

Wichtig ist weiters, nicht dem von ArbeitgeberInnenseite vordefinierten Begriff der Flexibilisierung anheim zu fallen, indem der Nutzen für die Arbeitgeber:innen in den Vordergrund gerückt wird, während er bei den Arbeitnehmer:innen bei Vereinbarkeitsthemen ausbleibt. Theoretisches Rüstzeug für eine entsprechende Korrektur findet man in den Thesen der deutschen Soziologin Frigga Haug, insbesondere ihrer „Vier-in-einem-Perspektive“ zu den Bereichen Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesenarbeit und Entwicklungschancen, mit dem Ergebnis, dass die Erwerbstätigkeit rigoros auf vier Stunden verkürzt werden müsste. „Perspektivisch erledigen sich auf diese Weise Probleme von Arbeitslosigkeit (wir haben dann weniger Menschen als Arbeitsplätze) mitsamt Prekariat und Leiharbeit - so gesprochen gehen alle einer Teilzeitarbeit nach, bzw. der Begriff hat aufgehört, etwas sinnvoll zu bezeichnen, und wir können uns konzentrieren auf die Qualität der Arbeit, ihre Angemessenheit an die menschliche Verausgabung ihrer Fähigkeiten.“[1]

Haug selbst spricht davon, dass „dies kein Nahziel sei, nicht heute und hier durchsetzbar, doch kann es als Kompass dienen“. Das skandinavische Modell „wer arbeitet wann?“ mit Aufteilung von Arbeit unter mehr Personen und mit weniger Zeit pro Person mag bereits in diese Richtung deuten.



[1]Die Vier-in-Einem Perspektive  und das Bedingungslose Grundeinkommen, aus Notizen aus einem Diskussionsprozess, 2011

 

Forderungen, Auseinandersetzungen und empirische Nachweise

 

Gewerkschaftliche Forderungen dieser Art werden mit Sicherheit eine Gegenbewegung provozieren, der man sich stellen muss. Wir müssen kalkulieren, was entstehen könnte, wenn der Mensch mit seinen/ihren Bedürfnissen nicht mehr bzw. noch weniger berücksichtigt wird? Im Sinne der Korrelation „Was willst du? Was bringst du?“. Angesichts des aktuellen Fachkräftemangels wird die Debatte noch schwieriger zu führen sein. Umgekehrt gibt es Beispiele, die unsere Thesen bestätigen. So etwa hat die „ematic GmbH“ die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt und dann noch einmal auf eine 30-Stundenwoche reduziert, dies bei vollem Lohnausgleich - der Gewinn der Firma hat sich durch stärker motivierte Mitarbeiter:innen erhöht. Frankreich hat 1995 die 35-Stunden-Woche eingeführt, dennoch hat kaum ein anderes europäisches Nachbarland nachgezogen. Oder: Arbeit und Freizeit - warum beziehen wir uns nur auf Österreich, ohne den Blick über die offenen Grenzen in die EU zu wagen?  Zu unseren Forderungen gehört auch:

  • AZV muss nicht Kosten verursachen
  • Gesundheit darf kosten!
  • Mitspracherecht von Betriebsrät:innen in Aufsichtsräten – Aufstockung des Verhältnisses auf 50:50 (weg von 15:1).

 

 

Personalvertretung an der Front

 

Für Betriebsräte zeigen sich seit der Corona Pandemie durch die Einführung von Homeoffice auf breiter Basis weitere Veränderungen dadurch, dass die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen. Die große Gefahr ist, dass die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit nicht gelingt. Im Schulbereich gibt es das Problem, dass Lehrer:innen mit zwei Korrekturfächern die Heftkorrekturen in Heimarbeit durchführen und dies teilweise in Nachtschichten oder als Wochenendarbeit tun. Eine Lehrerin hat jahrelang genau Buch geführt und jährlich im September mehr als 40 Überstunden leisten müssen. Bei einer regulären Verpflichtung von 1760 Stunden kam sie jeweils locker auf über 2000 Stunden. Ein Grundproblem besteht darin, dass alles, was mit dem Beruf zu tun hat, in die klassische Definition von Arbeit fällt. Abseits davon wird jedoch unendlich viel unbezahlte Arbeit erbracht, mit einem hohen gesellschaftlichen Nutzen - überwiegend von Frauen! Abgesehen davon stimmen die Relationen schon dann nicht mehr, wenn Geschäftsführer:innen 7-12 mal mehr verdienen als der Mindestlohn ihrer Beschäftigten ausmacht. Pensionist:innen: Die Gruppe der 65+jährigen kann oft nicht mehr ihre Berufslebensgewohnheiten loslassen und arbeitet in der Pension weiter. Andererseits: Wie viele Frauen wechseln aus einem regulären Arbeitsverhältnis in die Pension? - 5% !! Mindestens 95% haben sich vorher schon krank geschunden/schinden lassen, der Leistungsdruck auf Frauen ist viel zu hoch! Zur Situation an den Universitäten: Wie sehr senkt der zeitliche Mehraufwand den Stundenlohn? Die Antwort findet sich im neoliberalen Kennzahlen-Denken, die Werte verschieben sich, auch an den Unis wird die Identifikation mit dem Betrieb abnehmen, teilweise findet schon jetzt ein "Überlebenskampf" statt - mit Null Interesse für die Uni, das Institut oder die Kolleg:innen. Hauptsache, es gibt All-Inclusive-Verträge, was zur Frage führt, was ist bezahlt, was nicht? „Am Ende bist du der Opa von deinen Schülerinnen“ (Zitat: Christian Cenker). Dies beschäftigt zwangsläufig auch Personalvertreter:innen, beispielhaft skizziert von Gary Fuchsbauer: Er ist gern Lehrer, Berater, Vater von 5 Kindern, Gewerkschafter. Das alles macht er eigen- und nicht fremdbestimmt. Doch der Drang zum Weiterdenken nach einer fordernden und ihm nahegehenden Situation wird zum Risiko beim Lenken eines KfZ. Womit wir wieder bei der Work-Life-Social-Balance ankommen.

 

Fazit und Fortsetzung

 

Wenn wir uns teure Freizeit leisten müssen, weil die Arbeit nicht auszuhalten ist, wenn Kinderpflege+Altenpflege+Geldverdienen sich untereinander ausschließen, wenn das Betriebs- und Arbeitsklima nicht stimmt, wenn die Wertschätzung fehlt, wenn die Normalarbeitszeit (immer noch) 48 Stunden beträgt, dann sind das alles viele, aber noch nicht alle Gründe, weshalb wir uns weiterhin dringend diesen Themen widmen müssen und deshalb Folgendes tun werden: Die Arbeitsgruppe "Arbeit neu denken" wird in mehreren Terminen die Reflexion zu diesem UGÖD-Café vornehmen und gute Öffentlichkeitsarbeit vorbereiten. Ein Gespräch mit Expert:innen zur Beforschung der Arbeitswelt könnte Gegenstand eines weiteren UGÖD-Cafés werden. Eine Feedbackrunde in einem guten Format soll es auf jeden Fall geben. 

 

Vera Koller

Stefan Schön