Rede des österreichischen Bundeskanzlers zur Zukunft der Nation - ein Kommentar von Stefan Schön
Ein Hauch von Bildung
„Ich bin der Wissenschaft mehr als nur dankbar für das was sie geleistet hat in der Zeit der Pandemie“, war der mit Abstand beste Halbsatz aus der Rede des österreichischen Bundeskanzlers an die Nation. Warum? Weil es sich um eine Entschuldigung für jenen unglücklichen Sager handelte, wonach „wir“ expertenhörig waren und nun sollen Experten erklären, warum sie zu dieser Entscheidung gekommen sind. Gemeint waren die Entscheidungen während der Pandemie. Sodann blitzten da und dort positive Ansätze auf, wenn von „Dialog und Versöhnung“ die Rede war, oder „Österreich ist ein sicheres Land. Es ist leistungsstark. Es steckt voller Kreativität“. Der Kanzler will sich sogar um die Lehrpläne kümmern. Programmieren ab der fünften Schulstufe, politische Bildung und ab der siebten Schulstufe sogar ein E-Paper von allen Zeitungen, die im Presserat vertreten sind. Super! Aber bis es soweit ist, kann er sich`s leisten zu sagen, wir hätten die Energieversorgungskrise gemeinsam gemeistert, weil wir es geschafft haben, Gas von woanders her nach Österreich zu bekommen. Von wo woanders? Im Dezember 2022 kamen die Gasimporte zu 71% aus Russland (Winter war`s!), momentan sind es immer noch stolze 47%. Ja, ja, wehrhafte Demokratie, Medienvielfalt, Informationsvielfalt, Digitalisierung – sehr wichtig alles. Aber bis dahin müssen wir uns im Rahmen des Bildungswesens eher noch ums Lesen, Schreiben und Rechnen kümmern. Derweil können wir ruhig von „woanders“ sagen, auch wenn das Gas zu 71% und jetzt zu 47% von „dort“ kam bzw. kommt. Falls das nicht klar sein sollte: „Dort“ ist das Land des Aggressors, der einen rücksichtslosen Angriffskrieg seit über einem Jahr gegen die Ukraine führt.
Klassengesellschaft
Im weiteren Verlauf des Slaloms vorbei an den Fakten erfährt die Nation, dass eine Meisterprüfung und ein Studienabschluss sichtbar gleich wertvoll sein sollen, nämlich kostenlos. Abgesehen davon, dass die Annahme eines kostenlosen Studienabschlusses eher abwegig, denn realistisch ist, scheint dem Kanzler der Spagat zwischen akademischen und handwerklichen Talenten nicht so recht zu gelingen, der Begriff „Talent“ geistert mehrfach in seiner Rede, denn „wie oft reden wir davon, gerade auch als Volkspartei?“. Sagen wir so: Ein bildungspolitischer Versuch der Annäherung zweier Welten, für die/den Normalbürger:in ein kleiner logischer Schritt, ein sehr großer jedoch für eine konservative Partei! Dann, beim Thema Wohnen fühlt sich der Kanzler wieder heimisch, denn – so die Forderung – die Bürger:innen der österreichischen Nation verdienen ein Dach über dem Kopf, das ihnen als Eigentümer:innen auch wirklich gehört, also nicht nur das Dach, sondern die Wohnung, das Haus der Garten etc. Ziel des Kanzlers ist – kein Scherz – , dass Österreicher:innen zur besitzenden (!) Klasse gehören und aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu den Gemeindebauwohnungen herauskommen. Dass „das Eigentum“ dazu führt, dass Altersarmut vermieden werden kann, mag verstehen, wer sich jenseits der Eigentumsgrenze befindet. Jedenfalls sei das Ziel, dass 2030 die Altersarmut in der Pension kein Thema mehr ist. In diesem Zusammenhang und dank der Informationsvielfalt lässt sich übrigens recherchieren, dass mit Jahresbeginn eine Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, mit der es pflegenden Angehörigen in der Pension endgültig verwehrt wird sich selbst freiwillig zu versichern, um durch selbst angesparte Eigenleistung die Pension aufzubessern. Eine kurz zuvor ergangene Entscheidung des obersten Gerichtshofs hatte genau dies den betreffenden Pensionistinnen zu Recht zuerkannt. Erinnern wir uns an die Diskussion, ob das Recht der Politik zu folgen hat, oder nicht doch umgekehrt?
Arbeit und Soziales
Die Nation durfte erwarten, dass der Kanzler etwas zu den arbeitenden Menschen sagen wird und wurde nicht enttäuscht, inhaltlich dann aber doch, denn:
Trotz des Bekenntnisses, den Menschen in den Mittelpunkt des politischen Tuns setzen zu wollen, trotz der Beteuerung eines Miteinanders von Unternehmer:innen und Arbeitnehmer:innen in unserer Arbeitsweltgestaltung und trotz der Beschwörung einer vermeintlichen Win-win-Situation kamen Vorschläge für Regulative, die in die Freiheit der Menschen und das europäische Freizügigkeitsprinzip eingreifen würden, Beispiel: Berufspflicht in Österreich für die hauptsächlich deutschen Ausländer:innen, die das Medizinstudium in Österreich abschließen. Abgesehen von der Präpotenz des Ansinnens, wie, bitte, will man das exekutieren? Und wer legt den konkreten ärztlichen Arbeitsplatz fest? Die Landeshauptleute in Personalunion? Dieser Aspekt hätte zumindest in unserem föderalen Bundesstaat einen ungewollten Charme. Andererseits die unverhohlene Kritik an den neun verschiedenen Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegekräfte in den jeweiligen Bundesländern! – Der traut sich was, der Nehammer!
Trotz des Bekenntnisses, dass Arbeit sinnstiftend und „an sich ein Wert“ ist, lässt sich der Kanzler – einer traditionellen Automatik folgend – dazu verleiten, die jeweils gegenüberliegenden Neidgruppen zu definieren: Da „work“, dort „life“. Hier die, die für Geld arbeiten müssen, dort die, die es (einfach?) bekommen. Da die händeringend nach Personal suchenden Unternehmen, dort die Teilzeitbeschäftigten. Andererseits bemerkenswert in der Rede zur Zukunft der Nation: Die Politik müsse Rahmenbestimmungen schaffen, damit Wirtschaftstreibende bessere Löhne bezahlen können. Nun, die Nationalbürger:innen hätten eher erwartet, dass dies der Markt regle, wenn schon nicht neo-, so doch liberal, oder? Aber Entlastungsmaßnahmen von Seiten des Staates? Wer zahlt das letztendlich? Genau, die arbeitende Bevölkerung, quasi Win-win – oder doch eher ein wenig Plem-plem.
Reform des Arbeitslosengeldes: Am Anfang mehr, dann so schnell wie möglich immer weniger, klar, es darf nicht zu viel „life“ zwischen den „works“ sein. Weitere Ausführungen erübrigen sich.
Fehlt noch die Verneigung vor der Farbe Blau: Die Sozialleistungen in Österreich so neu regeln, dass nur der zum vollen Sozialleistungsbezug berechtigt ist, der mindestens fünf Jahre durchgängig in Österreich lebt. Und wenn nicht, nur die Hälfte. Gendern kann bei Ausländern wegfallen, „Liebe Österreicherinnen und Österreicher“ nur im ersten Satz für Inländer:innen. Halbe Sozialleistungen! Beim analogen Modell des Arbeitsministers für Teilzeitbeschäftigte hatten wir noch auf einen Irrtum gehofft, jetzt aber: Kanzlerebene!
Von Puten und vom Klima
Erwartungsgemäß wurden schlussendlich die EU- und Klimagegner:innen entsprechend bedient. Kurzfassung:
1. Es zahlt sich nicht aus, in Österreich Putenfleisch zu produzieren, obwohl es hier stark nachgefragt wird. Deshalb müssen Fehlentwicklungen in der europäischen Agrarwirtschaft zurückgenommen werden. Kommentar: In Wahrheit sind es innerstaatliche Vorschriften, die das große Geschäft „behindern“. OK, so eine Rede ist keine wissenschaftliche Arbeit, da braucht nichts korrekt zitiert werden, nichts gegendert, sogar Elemente eines Plagiats blieben straffrei. Es genügt zu behaupten, dass einem so etwas vom Hörensagen zugetragen worden sei. Ja, und so wird`s wohl gewesen sein. Deshalb brauchen wir einen starken Kanzler, damit sich die Produktion von Putenfleisch im eigenen Land wieder lohnt.
2. Klimaschutz in Österreich, dem Autoland schlechthin. Autoland nicht, weil wir so viel mit dem Auto fahren, sondern weil 80.000 Arbeitsplätze daran hängen. Damit gehen Innovation und Forschung einher. Da die EU über die höchste Expertise zum Verbrennungsmotor verfügt, soll sie das nutzen, was da ist. Deshalb wird er, Nehammer, sich im Dialog mit den EU-Regierungschefs dagegen aussprechen den Verbrennungsmotor zu verbannen. Kommentar: Auch ein Bundeskanzler hat ein Recht auf freie Meinungsäußerung.
Zum versöhnlichen Abschluss ein Zitat aus dem letzten Zehntel seiner Rede: „Das braucht Miteinander und nicht gegeneinander.“